Norway by Bike – Tag 39: Lomsesanden – Lyngdal (1311 km)

Der Campingplatz hat sich ziemlich geleert. Die Saison ist zu Ende, das Wochenende ist vorbei und wo am Samstag noch viel Treiben war, ist jetzt leere Wiese und nur noch vereinzelte Camper über den Platz verstreut. Wir lassen uns heute wieder viel Zeit beim Einpacken. Sogar so viel, dass wir noch das Mittagessen auf dem Campingplatz abhalten. Wir haben alles gepackt und setzen uns mit Brot, Obst und ein paar Dosen Fisch auf die angrenzende Glamping-Plattform.

Großer Mittagstisch mit kleinem Besteck

Kurz vor der Abfahrt löst sich meine zweite seitliche Netztasche von der Lenkertasche. Jetzt sind beide Taschen ab. Schade, denn da konnte ich immer Kleinigkeiten oder auch mal einen Schnipsel Müll drin aufbewahren. Aber gut, so ist es nun. Kleben hat nicht geholfen, die Tasche hat sich einfach wieder gelöst, aber ansonsten funktioniert sie ja noch, also werde ich einen Ersatz noch aufschieben. Sind ja auch nicht billig, die Dinger.

Die zweite seitliche Netztasche von der Lenkertasche ist abgerissen.

Abbruch?

Es ist fast 14:30, als wir losfahren und irgendwie habe ich zu viel gewollt. Erster Anstieg und der rechte Oberschenkelmuskel tut über dem Knie weh. Ich kann das Bein kaum belasten, weil es so ein stechender Schmerz ist. Der Muskel war kalt und das Fahrrad ist nicht leichter geworden. Ich versuche erst mal langsam weiterzumachen und in niedrigeren Gängen zu fahren. Außerdem versuche ich, die Kraft erstmal aus dem linken Bein zu holen. Immer mal wieder sticht der Schmerz, wenn ich doch wieder zu viel Kraft auf das Bein gebe, aber nach und nach wird es immer besser. Ich denke, ich muss den Muskel vorsichtig weiter aufwärmen und hoffe, dass es dann geht. Und tatsächlich. Nach einiger Zeit, vielleicht eine halbe Stunde später, ist es weit besser. Für einen kurzen Moment hatte ich schon die Befürchtung, dass ich nicht mehr weiterfahren kann. Es geht zwar jetzt wieder, aber den ganzen Tag über habe ich immer wieder das leichte Gefühl, dass das rechte Bein noch nicht so richtig stabil ist.

Wir fahren heute durch Farsund und eigentlich wäre es bestimmt auch ein schöner Ort zum Pausieren gewesen, aber die Kleine schläft. Wir haben zwei Tage pausiert und heute noch nicht wirklich viel Strecke gemacht. Wir müssen über eine Brücke und fahren auf dem erhöhten Gehweg. Am Ende wartet allerdings eine zweistufige Treppe auf uns. Ich beschließe, dass ich die Treppe ganz vorsichtig samt Anhänger herunterfahre. Das klappt auch, allerdings nicht ganz so sanft, wie erhofft. Ich weiß nicht, ob die Kleine dabei aufgewacht ist, aber wir brauchen einen kurzen Moment, um uns zu orientieren, weil wir jetzt entweder auf der Straße weiterfahren müssen oder auf dem gegenüberliegenden Gehweg, der eigentlich viel zu schmal für uns aussieht. So oder so, die Kleine ist wach und hat vielleicht 30–40 Minuten geschlafen. Und sie schläft auch nicht mehr ein. Lu ist sauer. Über uns und die Situation. Wir hätten einfach zügig weiterfahren sollen. Wir ziehen unsere Warnwesten an und fahren auf der Straße weiter.

Jetzt vielleicht doch Abbruch?

Wir sind kurz vor Lyngdal und kämpfen uns einen Berg hoch. Es ist unglaublich anstrengend, aber wir haben Spaß, machen Faxen und können uns kaum auf den Rädern halten vor Lachen. Beim Lachen geht sämtliche Kraft aus den Beinen in den Bauch und dann hilft eigentlich nur noch umfallen und liegenbleiben. Aber wir bleiben dran. Wir haben den Berg fast hinter uns gebracht, aber die Kinder brauchen einen Snack. Zumindest sind sie etwas unruhig und wir haben schon beschlossen, dass wir ihnen einen Riegel geben werden, damit wir keine längere Pause machen müssen, sondern es noch bis in den nächsten Ort schaffen.
Schon vor dem Berg hatte Komoot, die Tracking-App für unsere Tour, Probleme gehabt und einen Teil nicht aufgezeichnet. Als wir jetzt weiterfahren, bemerkt Lu, dass es wieder Schwierigkeiten gibt. Wir halten an und versuchen, das Problem zu beheben. Es ist nicht das erste Mal und ich bin der Meinung, dass wir der App zu viel zugemutet haben. Wahrscheinlich hätten wir die Route in Etappen unterteilen sollen. Mindestens von Berlin nach Hirtshals und dann nochmal eine Etappe ab Stavanger. Auf jeden Fall lässt sich die App nicht mehr öffnen. Sie crasht jedes Mal. Wir versuchen alles Mögliche und ich recherchiere im Internet, was wir noch ausprobieren können. Leider ohne Erfolg. Am Ende lagern wir die App aus, was bedeutet, dass die Daten behalten werden und die App gelöscht wird. Leider hat das dazu geführt, dass wir über 1300 km Streckendaten verlieren. Alles weg. Es sind nur Wegpunkte, nur ein paar Daten, aber in diesem Moment ist es echt ätzend. Lu, die die Navigation die ganze Zeit übernimmt, ist verzweifelt und unter Tränen und ich versuche, es erstmal zu schlucken, sie zu trösten und für die Kinder da zu sein, die die ganze Zeit im Anhänger warten. Wir haben sie mit weiteren Snacks versorgt, aber das geht eben auch nicht ewig. Traurig, entnervt und unendlich wütend fahren wir weiter. Das Tracking läuft wieder. Ich setze mich zwischendurch ab und wir verarbeiten den Frust erstmal jeder für sich alleine. Ich bin wütend auf uns, ich bin wütend auf Lu und frage mich, warum wir nicht schon früher auf die Zeichen gehört haben, die uns die App gesendet hat. Sie ließ sich nämlich immer häufiger nicht öffnen, aber bisher hat es mit ein paar Tricks immer noch geklappt. Meine Wut verfliegt irgendwann. Ich denke schon über Lösungswege nach, wie wir die Daten irgendwie nachstellen können, damit wir die Reisestrecke wenigstens irgendwie nachvollziehen können. Als ich mit Lu darüber spreche, merke ich, dass sie schon weiter ist. Sie hat auch schon darüber nachgedacht und ist schon entspannter als ich. Dass ich wütend auf sie war, war nicht ganz fair. Ich hatte zwar schon ein paar Mal unterwegs gesagt, dass wir die Route speichern sollten und eine neue anfangen sollten, damit wir am Ende nicht alles verlieren, aber ich hätte auch darauf bestehen können, dass wir das machen. Ein Problem ist, dass es in Komoot keine Möglichkeit gibt, Touren zusammenzuführen. Das hätten wir in einer anderen App machen und dann nochmal auf Komoot hochladen müssen. Lu wollte bis zum Ende durchziehen. Das hatte mich geärgert. Jetzt ist es, wie es ist, und es ändert nichts an der Reise. Natürlich ändert es den Fakt, dass wir jetzt keine Aufzeichnung mehr haben, aber alles Erlebte ist in unseren Köpfen.

Wo Schatten ist, ist auch Licht

Wir kommen in Lyngdal an und bei Ortseinfahrt sehe ich quer über die Bucht hinweg ein großes Hallenbad. Die Große wünscht sich schon seit Wochen, dass wir ins Hallenbad gehen. Vermutlich kommt der Wunsch konkret aus einem Buch von Nora Imlau „Ein total genialer Mummeltag“. Dort wollen sie bei mittelgrauem Wetter ins Hallenbad gehen. Ich fahre voran und zeige auf das Gebäude in der Ferne. Lu sieht es und weiß sofort, was ich meine. Wir werden hier also mal nachsehen, ob es geöffnet hat – wer das Buch gelesen hat, weiß, warum das wichtig ist – und wo wir unterkommen. Nach wenigen Hundert Metern sehen wir schon den ersten Campingplatz. Aber hier ist absolut tote Hose. Keiner da, nix los. Aber wir kommen auf das Gelände. Wir haben noch etwas Zeit und wollen noch etwas einkaufen gehen. Dafür fahren wir etwas weiter in den Ort rein. Unterwegs sehen wir, dass direkt neben dem Campingplatz ein weiterer Campingplatz liegt, der aber genauso geschlossen scheint und wo wir nicht einfach so reinkämen.

Wir kaufen zwar keine, aber im Supermarkt kann sic die Große gerne die Steffis (ja, so nennen sie sich) ansehen

Wir schließen unsere Räder vor dem Coop Extra an und wickeln die Kinder im Kalten auf einer Bank vor dem Laden. Die Kleine ist leider nach der langen Fahrt durch und muss komplett saniert werden. Wenig später ist alles erledigt und schon sind wir im Laden und machen einen kleinen Großeinkauf. Die Große findet die Spielzeugabteilung und bleibt beim Barbie-Pendant „Steffi“ hängen. Die kennt sie noch aus Egersund und schaut sich die Puppen ganz genau an. Ich habe mir heute mal ein Lite-Bier eingepackt, aber leider ist es schon nach 20:00 Uhr. Um genau zu sein 20:08 Uhr. Das heißt in Norwegen: Kein Verkauf von Alkohol. Naja, knapp vorbei. Was soll’s.

Campen, wo keiner mehr campt

Wir fahren zurück zum menschenleeren Campingplatz und bauen unser Zelt dicht am Spielplatz auf. Normalerweise würden hier die Wohnwagen und Wohnmobile stehen. Die Zeltwiese ist am anderen Ende des Platzes, aber da gibt es keinen Spielplatz. Das ist nicht das erste Mal, dass der Spielplatz weit von den Zelten entfernt ist. Als wenn Familien nicht mit Zelt reisen würden. Aber gut, wir haben hier noch keine Familien auf Fahrradreise gesehen. Jedenfalls wird es niemanden stören, wenn wir am Spielpatz unser Zelt aufbauen.
Wo kein Dichter, da kein Denker – oder wie der Spruch geht.

Als wir auf dem leeren Campingplatz ankommen wird es bereits dunkel

Es wird so langsam dunkel, aber wir lassen die Kinder sich noch auf dem Spielplatz bewegen, während wir das Zelt aufbauen. Weil es aber auch allmählich kalt wird, sehen wir zu, dass die beiden bald im Zelt sind. Wir checken das Wetter für die nächsten Tage und es sieht so aus, als hätten wir Glück: Es soll viel regnen, also ist es die perfekte Gelegenheit für Badespaß im Hallenbad. Wie gut oder nicht gut das Zelt steht, werden wir morgen erfahren. Bis dahin erstmal gute Nacht.

Heutige Fahrbilanz: 33 km, 3 h im Sattel

Bilder des Tages


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