Norway by Bike – Tag 33: Hauge – Flekkefjord (1171 km)

Der Tag beginnt wolkenverhangen, teils regnerisch und so wird es auch den gesamten Tag über bleiben. Das Zelt ist nass und wir brauchen heute nicht versuchen irgendetwas zu trocknen. Das Frühstück findet ohnehin immer im Zelt statt, also ändert die feuchte Witterung auch nichts daran.
Nach dem Frühstück unternimmt die Kleine heute viele Gehversuche im Zelt. Das Schöne für sie am Laufen im Zelt ist, dass sie beim Fallen in der Regel auf einer Isomatte landet und somit immer weich landet. Allerdings läuft es sich auch nicht so einfach auf einer Isomatte.

Wir verlassen den Schlafplatz bei Wolken und Nässe

Als wir alles einigermaßen nass eingepackt haben, fahren wir los und treffen nach kaum 50 m auf zwei Camper Vans, die auch hier übernachtet haben. Sie sprechen uns im Vorbeifahren an und wir kommen wieder in ein Gespräch. Sie sind sehr interessiert und sie erzählen uns, dass sie beinah mit Kaffee zu uns rüber gekommen wären, weil wir ihnen so Leid taten, bei dem Regenwetter. Einen Kaffee ans Zelt geliefert bekommen? Da hätten wir natürlich nicht nein gesagt.

Während wir uns unterhalten, warten die Kinder geduldig im Anhänger, hören manchmal bei uns zu oder machen ihr Ding weiter. Sie lesen oder spielen mit den Sachen, die sie gerade zur Hand haben. Als wir weiterfahren, fragt die Große, wie immer, worüber wir mit den Leuten gesprochen haben. Das meiste wird sie akustisch verstanden haben, aber inhaltlich womöglich nicht alles. Wir geben ihr dann einen groben Abriss und damit ist sie in der Regel zufrieden.

Straße gesperrt

Wir sind wieder nur wenige hundert Meter weiter, da tut sich das nächste Hindernis auf. Die Straße, auf der wir gestern den Schlafplatz angesteuert haben, ist heute gesperrt. Es laufen Bauarbeiten, bei denen Teile der Straße aufgerissen wurde und es stehen Fahrzeuge im Weg, sodass wir nicht vorbeifahren können. Lu checkt die Lage nochmal genauer und spricht mit einem Bauarbeiter, aber wir kommen hier nicht durch. Erst am Nachmittag soll die Strecke wieder passierbar sein. Zum Glück gibt es für uns noch einen anderen Weg, allerdings verspricht dieser etwas schmaler und unwegsamer zu sein, dafür immerhin auch etwas kürzer. Wir fahren nochmal vorbei am Schlafplatz, berichten den Campern von der Sperrung und fahren über einen Schotterweg auf und ab zurück zur eigentlichen Route. Diese führt uns heute zu Beginn eine ganze Weile auf einer Landstraße bergauf.

Wir schlängeln uns heute viel auf Landstraßen bergauf

Radreisen – Workout für den Körper und Entspannung für die Seele

Die Beine müssen am Anfang einer Fahr-Session immer erstmal warm werden. Es reichen oft ein paar Minuten stehen und schon müssen die Beine erstmal wieder ins Kraxeln reinkommen. Aber nach etwa fünf Minuten intensiver Bergfahrt sind die Oberschenkel voll am Start. Ich bin froh, dass wir 1000 km Vorlauf für die bergige Südküste Norwegens hatten. Deutschland und Dänemark haben uns mit rund 2000 Höhenmetern auf die rund 5000 Höhenmeter von Stavanger nach Kristiansand vorbereitet. Wären wir an Tag 1 in Stavanger gestartet, wären wir vermutlich kläglich gescheitert. Aber so kommen wir eigentlich ganz gut voran. Es zieht sich zwar gelegentlich, weil wir nicht wirklich schnell vorankommen, aber wir kommen konstant voran. Manchmal sind wir für eine ganze Weile mit 3-5 km/h unterwegs und schleppen uns die Berge hoch und anschließend geht es mit 30-40 km/h den Berg wieder runter. 30 Minuten hoch und 2 Minuten runter. So oder so ähnlich sieht es oft aus. Es klingt vielleicht anstrengend – körperlich ist es das ohne Frage – aber es macht uns tatsächlich Spaß, es erfüllt uns und es fühlt sich gut an, den Körper mal wieder so richtig ans Limit zu bringen. Auf den ersten 1000 km, in Deutschland und Dänemark, hatten wir einen Schnitt von 14 km/h. Wir hatten sogar Tage mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 18 km/h. Heute werden es etwas über 8 km/h sein.

Außerdem können wir auf den Rädern unsere Akkus mal wieder richtig aufladen. Es ist schön so naturnah zu Reisen. Wir hören jedes Plitschern und Plätschern am Straßenrand und hier in Norwegen fließt wirklich viel Wasser an allen Ecken und Enden. Wir sind der Witterung ausgesetzt, wir atmen permanent frische Luft, wir riechen die Meeresluft, die Nadelwälder, die Fischerorte und die Weiden, wir spüren die Wärme, die Kälte, den Wind und den Regen. In einem Auto würde vieles vom Flair Norwegens an uns vorübergehen. Das ist ein unsagbar wertvoller Aspekt an dieser Art zu reisen und er ist die Belohnung dafür, dass wir uns die steilen Passagen hochkämpfen.
„Im Regen fahren ist die Belohnung dafür, dass ihr steile Berge fahrt?“ – Ja, ok, wenn man es so ausdrückt, klingt es komisch. Die Naturnähe ist die Belohnung.

Kargheit genießen und vorsichtig bremsen

Aussicht vom Jøssingfjord utsiktsplass

Heute fahren wir durch teilweise karge Landschaften mit schroffen oft dunkelgrauen, fast schwarzen Felsen. Es bietet sich keine echte Gelegenheit für einen Stopp zwischendurch. Wir kommen an einem Aussichtspunkt vorbei, von dem aus wir auf den Jøssingfjord sehen können. Dort halten wir kurz an, um einen Blick zu werfen. Wenn wir uns schon so weit hoch geschleppt haben, wollen wir auch mal etwas Aussicht genießen. Zwar schläft die Kleine mittlerweile, aber wir riskieren es. Kurz bevor wir weiterfahren wollen, geht neben dem Anhänger die Alarmanlage eines Autos an. Die Kleine schläft aber tief und fest und lässt sich zum Glück davon nicht aus dem Takt bringen. Sie schlummert einfach weiter.

Wir rollen wieder los und es geht einen Pass hinunter. Bei solchen Abfahrten hoffe ich immer, dass die Bremsen nicht versagen. Von meinem Schwiegervater habe ich mal gehört, dass er mit Freunden auf Teneriffa gefahren ist und einem Freund ein Reifen geplatzt ist, weil die Felgenbremse die Felge derart erhitzt hat, dass der Schlauch geplatzt ist. Wir fahren zum Glück mit Scheibenbremsen, dennoch bin ich bei langen Abfahrten mit langen Bremsintervallen mit meinem Gedanken oft bei den Bremsschieben und Bremsbelägen. Bei einer Abfahrt im Harz hat sich einmal meine Bremsflüssigkeit durch das Dauerbremsen erhitzt und die Bremse beinah festgesetzt. Bis jetzt haben wir auf unserer Tour allerdings keine Probleme mit den Bremsen. Ich habe vor der Tour die Bremsscheibe an meinem Hinterrad und alle Bremsbeläge erneuert und habe seitdem wieder volle Bremsleistung und das gibt mir ein gutes Gefühl bei diesen Etappen.

Am Ende der Abfahrt wartet ein beliebtes Ausflugsziel. Zwei Häuser aus dem 19. Jahrhundert unter einem riesigen Felsvorsprung, die „husene ved Helleren“ genannt werden. Die Häuser bekommen wohl nie Regen von oben ab, weil der Felsen über sie ragt. Im Vorbeirollen sprechen wir uns kurzfristig ab, dass wir einfach weiterfahren werden und hier keinen Stopp einlegen. Was wir aus der Ferne sehen reicht uns und die Kleine Schläft.

Dünn besiedelte Gegend

Der nächste Ort ist 12 km entfernt und wird unser Pausenplatz werden. Der Ort heißt Åna-Sira. Es gilt über 270 Höhenmeter zu überwinden, was erstmal nicht viel klingt. Aber auf dem Fahrrad, mit dem Gewicht, machen sich die Meter bemerkbar. Der Ort ist sehr klein und bietet genau ein Geschäft für Lebensmittel und keine Restaurants. Die örtliche Joker-Filiale ist ein Lebensmittelgeschäft, das es schafft, alles nötige auf kleinstem Raum alles unterzubringen. Es ist rund um die Uhr geöffnet, ist aber nur zu bestimmten Zeiten mit Personal besetzt. Als wir ankommen ist der Laden unbesetzt und wir müssen uns erstmal damit vertraut machen, wie wir hier jetzt reinkommen. Am Eingang gibt es einen Kartenleser. Dort halten wir unserer EC-Karte ran, sie wir mit 1 NOK (0,085 €) „belastet“ und die Türen öffnen sich. Das Geld bekommen wir wieder gutgeschrieben, wenn wir den Laden verlassen. Drinnen gibt es ein Terminal, an dem wir unseren Einkauf selber bezahlen können und an dem wir eine Quittung erhalten, die wir zum Öffnen der Ladentür benötigen. Alles dazwischen läuft auf Vertrauensbasis, wie es scheint.
Im Laden ist es sehr kalt und wir bereuen nichts zum Anziehen für die Kinder und uns (wir sind geschwitzt) mitgenommen zu haben. Also beeilen wir uns. Wir besorgen alles nötige für Wraps, dazu einen Kaffee aus einer Pumpkanne und ein paar Dinge, wie Brot und Käse. Während wir an der Kasse stehen und alle Artikel einlesen, spielen die Kinder hinter uns am Süßigkeiten Regal und räumen Schachteln ein und aus. Bevor wir den Laden verlassen, beseitigen wir noch die Spuren der Kinderspielecke.

Die Kinder sortieren die Regale neu

Direkt vor dem Laden sind Tische und Bänke und wir bauen dort unseren Mittagstisch auf. Es gibt noch eine Sitzgruppe, die Wettergeschützt steht und als ein paar Tropfen vom Himmel kommen, streben wir an uns umzusetzen. Allerdings bemerken wir, dass dort viel Asche von Zigaretten auf der Plastiktischdecke liegt. Die Tische draußen haben keine Decken und sind sauberer. Das bisschen Wasser werden wir schon abkönnen. Umso länger wir draußen sind, umso mehr relativieren sich gewisse Dinge. Nässe, Kälte, Dreck – der Standard verschiebt sich etwas. Inmitten von Zigarettenasche speisen zählt trotzdem nicht dazu.

Nehmen, was wir kriegen können

Wenn wir Glück haben, ist die Wiese tief genug für unsere Heringe

Nach dem Essen geht es noch etwas weiter, weil wir einen Schlafplatz finden müssen. Das ist heute wieder mal gar nicht so einfach. Wir verlassen heute die Provinz Rogaland und sind ab jetzt in Agder Nach gut 4 km und 90 hm finden wir schließlich ein kleines Fleckchen Wiese an einem See am Botnevann Rasteplass. Dort steht genau ein Camper und wir müssen direkt vor ihnen unser Zelt aufschlagen, weil nur dort taugliche Wiese ist. Allerdings auch nur gerade so tauglich. Wir bekommen nicht alle Heringe ganz in den Boden, weil darunter Felsen liegt, es ist minimal abschüssig und teilweise ist die Wiese matschig. Das sagt schon viel darüber aus, wie verzweifelt wir nach einem Platz gesucht haben, wenn das der tauglichste Platz ist. Wir wollten auch nicht riskieren noch viel weiter fahren zu müssen. Hier gibt es keine Straßenbeleuchtung und es war schon spät genug.

Das Zelt steht und für die Kinder geht es direkt ins Bett. Wir sind noch ein Weilchen wach und während wir noch schreiben, Story posten und Bilder favorisieren regnet es leicht auf unser Zelt.

Heutige Fahrbilanz: 22 km, 2:40 h im Sattel


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