Tag 19 – Schynige Platte

Zwischen Wanderlust und Lebensgefahr

Das Wir lieben es zu wandern und setzen die Messlatte an uns selbst immer sehr hoch. In der Vergangenheit kamen wir dabei schon so manches Mal an unsere Grenzen. Ich erinnere mich an ein Mal als wir zur Sachser Lücke wanderten und schon oben bedingt durch extremen Anstieg und extremes Wetter sehr erschöpft waren. Wir gönnten uns keine Hütten-Pause und snackten lediglich am Wegesrand. Wir liefen eine längere Strecke an einem Bergkamm entlang. Nicht weit von uns entfernt baute sich ein Gewitter auf und es blitzte und donnerte immer wieder. Der Plan war es mit der Gondel wieder runter ins Tal zu fahren. Aber die fuhr nicht mehr, als wir dort ankamen. Wir liefen also den gesamten Weg wieder runter ins Tal. Das Wetter zog zum Glück vorbei. Aber unsere Beine und Füße waren schon über dem Limit, als wir am Auto ankamen. Es wäre gelogen, würde ich sagen, das war die einzige riskante Aktion. Situationen dieser Art kamen, als wir noch keine Kinder hatten, bei unseren Wanderungen immer mal wieder vor. Und auch mit unserer Großen sind wir, als sie knapp anderthalb Jahre alt war, zum Hardergrat aufgebrochen, obwohl Regen angekündigt war. Wir hatten gedacht, wir schaffen es vorher noch hoch und wieder runter. Als wir mit ihr in der Kraxe so schnell wir konnten hoch liefen, konnten wir nicht die Schlechtwetterfront sehen, die auf uns zu rollte, weil sie vom Bergmassiv verdeckt wurde. Wir haben kurz vorm Gipfel kehrt gemacht. Da war es schon zu spät. Mit dem Gewitter im Nacken haben wir unseren bisher schnellsten Abstieg gemacht, sind mehr gerannt als gelaufen. Bodo spürte vor einem Blitz, wie sich seine Haare aufluden. Das war lebensgefährlich auch für unsere Tochter. Sie spürte seine Angst und war verunsichert. Er fing an zu singen und machte Faxen, um die Stimmung zu heben. Am Ende kamen wir sicher wieder am Auto an.

Die eigenen Ansprüche zurückschrauben

So fahrlässig sind wir inzwischen nicht mehr. Wir versuchen mit angepasster Erwartungshaltung eine Wanderung zu planen, möchten aber trotzdem manchmal mehr als möglich ist. Wir haben einige Wanderungen in unserer Sammlung, die so mit zwei Kindern nicht möglich sind. Anfahrt zu lang, Strecke zu lang, zu viele Höhenmeter, zu spät aufgestanden. Ich könnte noch mehr Gründe nennen, die uns am Wandern einiger Routen hindern. So haben wir auch ein paar wenige dabei, die wir schon in der Vergangenheit gemacht haben die wir aber gerne mit den Kindern wiederholen wollen, weil wir sie schlicht romantisiert betrachten, wir schöne Erinnerungen damit verbinden oder die Natur dort sehr lieben. So auch diese. Auf die Schynige Platte, dann zum Faulhorn und weiter zu den Bachalpseen und zum First. Großartige Panoramen mit wunderschöner Sicht auf Thuner-, Brienzersee, Eiger, Mönch und Jungfrau.

Auch das Baby hat Erwartungen

Wir stehen an diesem Tag nicht besonders früh aber auch nicht besonders spät auf. Die Kinder bekommen Frühstück und auch wir kommen dazu etwas zu essen. Die Kleine möchte seit Bozen am Morgen immer Laufen. Sie sucht ihren Sonnenhut und hält ihn uns hin. Sie möchte ihn von uns angezogen bekommen. Gleiches mit ihren Lederschläppchen. Um den Schuh angezogen zu bekommen, hält sie ein Bein hoch. Sie möchte nun los! Das macht sie mit erwartungsvollem Blick und wenn es nicht schnell genug geht lautstark deutlich. Also läuft Bodo mit ihr eine große Runde auf dem Parkplatz. Unten am Parkautomaten steht eine Bank. Dort klettert sie etwas und dann geht es zurück nach oben. Meist reicht ihr das.

Von wegen angepasste Erwartungshaltung

In dieser Zeit mache ich den Camper abfahrbereit. Wir versuchen heute schnell los zukommen, aber so richtig gelingt uns das nicht. Auf dem Weg zum Bahnhof Wilderswil finde ich heraus, dass wir noch ca 35 Minuten bis zur nächsten Abfahrt der Zahnradbahn Zeit haben. Es wäre ok gewesen zu sagen, dass wir das nicht schaffen und eine Bahn 40 Minuten nach dieser zu nehmen. Aber der eigene Anspruch steht uns im Weg. Denn wir würden gern die angedachte Wanderung schaffen, ganz! Also beeilen wir uns. Direkt am Bahnhof ist kein Parkplatz frei und der große öffentliche Parkplatz, den wir aus den Vorjahren kennen, ist nun höhenbegrenzt. Aber es gibt ein weiteren, hinter dem Bahnhof. Wir parken und haben dabei vergessen, dass wir mit dem vorne am Camper angebrachten Solarpanel in Richtung Süden stehen wollten, um die Batterie zu laden. Da wir gerade keine weiten Strecken fahren und der Kühlschrank viel Energie raubt, ist die Batterie morgens schon bei 30 % gewesen. Zum Umparken ist nun aber keine Zeit mehr. Wir holen die Kraxen raus, packen Essen für uns und die Kinder, Wechselwäsche, Regenkleidung (man weiß ja nie), Sonnencreme, Sonnenhüte und Wickelsachen ein. Wir nehmen unsere Wanderstöcke und ziehen die Wanderschuhe an. Kamera, Snacks und Feuchttücher nicht vergessen. Und los geht’s.

Wo ist Papa?

Wir haben die ersten Schritte gemacht, da fällt Bodo ein, dass er Sonnenbrille und Basecap vergessen hat. Ich gehe mit den Kindern schon mal vor. Die Kleine in der Kraxe, die große an der Hand. Die Schranke vom Bahnübergang, den wir überqueren müssen, um zum Bahnhof zu gelangen, ist gerade unten und wir müssen warten. Da kommt eine Ansage über Lautsprecher, dass unser Zug bereits voll ist. Es wird darum gebeten den nächsten Zug zu nehmen. Den in 40 Minuten. Die Große fragt „Wo ist Papa?“

Der Luxus, sich selbst eincremen zu können

Als die Schranke wieder aufgeht, laufe ich mit den Kindern zum Bahnhof und stelle mich direkt an der Schlange für die Zahnradbahn an, die hinter einer Schranke auf dem anderen Gleis endet. Die Bahn, die wir eigentlich nehmen wollten, fährt ein paar Minuten später ab. Bodo kommt und wir klären, dass ich mit den Kindern in der Schlange stehen bleibe und er die Tickets kaufen geht. Während er weg, ist geht die Schranke hoch, und wir rücken auf. Als Bodo zurück ist, cremt er erst die Große ein. Ich setzte die Kraxe mit der kleinen ab und wir cremen auch sie so gut es geht ein. Die Kinder bei Laune halten hält mich davon ab mich selbst einzucremen, aber immerhin das Gesicht schaffe ich.

Die Bahn fährt ein und wir sind froh ein Abteil zu finden, in das wir alle vier rein passen. Eine Kraxe kommt unter die Bank und die Kleine nehme ich samt Kraxe auf den Schoß. Das sieht komisch aus, aber sie kann so gut gucken und schläft bald ein. Auch ein umlagern ist so nicht nötig. Die Fahrt mit der Zahnradbahn zur Schynige Platte dauert eine Stunde und es ist sehr warm heute. Bevor wir die Wanderung beginnen füllen wir also noch einmal unser Wasser auf. Außerdem erfragen wir, wann die letzte Bahn ins Tal fährt. 17:50 Uhr.

Unterschätzt und überschätzt

17:50 Uhr puh! Wir fangen sofort an zu rechnen und uns wird klar, was eigentlich auf dem Parkplatz schon klar war: Wir schaffen die Wanderung nicht. Wir sind zu spät aufgestanden, zu spät losgefahren, haben die Fahrzeit unterschätzt und uns und unsere Kapazitäten überschätzt. Denn mit zwei Kindern sind 16 km und knapp 900 hm auch ohne Zeitlimit herausfordernd. Da aber auch das Ende, der mit 6 h berechnete Wanderung, durch eine Seilbahn begrenzt ist, haben wir es nicht in der Hand wie lange wir wandern können. Wir kennen zwar nicht die Zeit für die letze Abfahrt der First Seilbahn nicht aber vermutlich 17/18 Uhr und das können wir nicht schaffen. Denn es ist bereits 12:30 Uhr als wir loslaufen. Wir müssen also anders planen. Uns war eigentlich klar, dass eine 16 km Wanderung utopisch ist, aber die Ambition, es trotzdem zu probieren, blieb. Umso enttäuschender ist es, Pläne ändern zu müssen

Und wenn wir hier nicht mehr runter kommen?

Wir machen diese Wanderung bereits das dritte Mal. Das erste Mal war magisch, die Aussicht atemberaubend und die Strecke herausfordernd. Beim zweiten Mal hatten wir ein Zeitproblem und mussten kurz vor der Hälfte wieder umkehren, weil wir merkten, das wir es nicht zur letzten Seilbahn zum First schaffen konnten. Große Teile des Rückwegs mussten wir rennen auch aufwärts. Ich erinnere mich noch gut, wie sich das anfühlte. Körperlich total am Ende aber die Angst im Nacken, die Nacht hier oben verbringen zu müssen oder alternativ den steilen Abstieg ins Tal zu wagen hat mich dann immer wieder angetrieben weiter zu rennen. Die Bahn haben wir zum Glück noch bekommen. Das sollte uns eigentlich eine Lehre sein. War es aber nicht. Wenn wir den Tag früh beginnen, sind es bestimmte Abläufe und Routinen, die uns daran hindern morgens früher loszukommen. Helfen würde es auch die Kraxen soweit zu packen, dass nur noch der Proviant fehlt.

Hätten wir doch ein Zelt mitgenommen

Wir entscheiden uns während des Laufens dafür, irgendwann umzudrehen. Weil wir weit kommen wollen, laufen wir recht zügig. Aber die Kleine ist nach dem Aufwachen bald hungrig und auch die Große will irgendwan raus. Es wäre schön gewesen bis zum Berghütte Männdlenen zu kommen, die auf etwa der Hälfte der Strecke liegt, doch auch das schaffen wir nicht. Hätten wir ein Zelt dabei, hätten wir ein Nachtlager aufschlagen können und die Wanderung am nächste Tag abschließen können. Ein witziger Gedanke, denn wir haben auf unserer Reise gar kein Zelt dabei. Ein Gedanke der mir gerade beim Schreiben kommt, wäre eine Hütten Übernachtung. Abendessen und Frühstück könnte man in der Hütte bekommen. Aber das Schlafen in einem Mehrbetten-Schlafsaal mit Stockbetten wäre ein spannendes Experiment. Jeder Erwachsene müsste sich ein Bett mit einem Kind teilen. Nächstes mal vielleicht.

Die Suche nach Schatten

Wir suchen möglichst schnell einen schattigen Spot für unsere Mittagspause. Gar nicht so einfach, denn es gibt eigentlich nur Sonne und fast keine Bäume. Bodo passt das Tempo nochmal an, denn die Sicht auf den vor uns liegenden Weg verspricht weder Schatten noch Platz. Es ist ein Singletrail, links Berg, rechts Abhang. Hinter der nächsten Kurve werden wir endlich fündig. Es gibt es einen kleinen Vorsprung am Fels, der Schatten und einen Platz zum Sitzen spendet. Auch die Kraxen finden einen Platz. Bodo sitzt mit den Kindern auf dem Stein. Es gibt Käse, Salami Sticks, Nüsse, Obst und Brei für die Kleine.

Die Große möchte auch wandern

Als wir fertig sind, wollen wir umdrehen und zurück wandern. Die Große sagt sie möchte laufen. Wir finden das toll, aber da der Weg keine Möglichkeit bietet sie an die Hand zu nehmen, müssen wir ihr das Kletter-Geschirr anziehen. Als sie es an hat, laufen wir ganz langsam los. Denn die erste Passage ist auch gleich die steilste und schwierigste. Sie bekommt als zusätzliche Hilfe noch Bodos Wanderstöcke zur Hand und bestreitet die schwierige Passage langsam und vorsichtig und meistert es ganz toll. Wir werden von anderen Wanderern begeistert darauf angesprochen. Etwa eine gute halbe Stunde läuft sie so mit uns, dann ist sie müde und möchte wieder in die Kraxe rein. So laufen wir nun den übrigen Weg zügig zurück und beide Kinder schlafen ein.

Erstmal ein kühles Radler und Eis

Als wir am Bahnhof ankommen, wird die Kleine wach. Ich kaufe im Bahnhofsladen zwei große Radler für Bodo und mich und studiere das Eis Angebot für die Große. Ich mache ein Foto davon, damit wir es ihr zeigen können, wenn sie wach ist. Die Kleine spielt vergnügt mit ein paar Socken und bald wird auch die Große wach. Sie entscheidet sich für ein Magnum. Als sie das Eis aufgegessen hat, haben wir noch eine halbe Stunde für den kleinen Spielplatz. Die Große bemerkt, dass dieser nur zwei Geräte hat und ist schnell durch mit spielen. Sie rennt dafür noch etwas hin und her. Weil aber bald die Bahn kommt, gehen wir wieder runter zum Bahnhof.

Die Talfahrt zieht sich wie Käse

Sowie wir unsere Plätze eingenommen haben, nimmt die Kleine Kontakt zu unseren Sitznachbarn auf und spielt bald mit ihnen verstecken. Das geht fast die gesamte Rückfahrt so. Zwischendurch turnt und klettert sie an, auf oder neben mir rum. Auch die Große macht da mit. Das Spiel wird zum Ende immer wilder und wir werden dabei so gefordert, das wir an unserer Grenzen kommen. Die einstündige Fahrt zieht sich ewig. Als wir endlich ankommen, sind wir sehr erleichtert und total erschöpft. Wir gehen zurück zum Auto und müssen erstmal lüften. Die Innentemperatur liegt bei 42 Grad!

Zu spät für Gnocchi

Wir wollen schnell zurück, denn als wir im Tal unten ankommen, ist es bereits 19 Uhr. Also beeilen wir uns. Ich habe die irrwitzige Idee noch schnell Gnocchi mit Tomaten-Sahnesauce zu kochen, obwohl wir wissen, dass unsere Kinder nicht gut essen können, wenn sie übermüdet sind. Ich versuche es dennoch. Bodo geht mit der aufgedrehten Kleinen noch ein Bisschen raus, während ich koche. Es geht an sich schnell und bei der Kleinen kommt es auch gut an. Die Große mag die Gnocchi mit Sauce nicht probieren, aber ohne isst sie ein paar. Auch wir werden satt. Nach dem Essen machen wir beide bettfertig und legen sie schlafen. Es ist spät, wir sind erledigt und gehen auch ins Bett.


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