Wir erwachen zum zweiten Mal am Sellajoch. Es soll heute auf den Bindelweg, auf rund 2200-2400 m gehen. Eilig scheinen wir es aber nicht zu haben und so ist der Parkplatz schon rappelvoll, als wir losfahren wollen. Zwischenzeitlich waren wir ein paar mal zugeparkt worden, aber als wir losfahren, müssen wir nur etwas rangieren.
Grauzone Grauwasser
Grauwasser ist Wasser vom Abwaschen und duschen und ich kannte es bis jetzt nicht, dass es sonderlich riecht. Unser Grauwasser fängt an zu riechen und ist wieder recht voll, aber die einzige Möglichkeit, es abzulassen, ist in Arabba, was unnötig viel bergab und -auf fahren bedeuten würde. Wir wollen heute zum Pordoijoch und dafür fahren wir vom Sellajoch runter und dann auf das benachbarte Pordoijoch wieder rauf. Um nach Arabba zu kommen, müssten wir über das Pordoijoch hinausfahren, den Pass runter, knapp 10 km fahren, könnten dann das Wasser ablassen und müssten dann wieder 10 km bergauf fahren. Wir beschließen uns noch durchzubeißen und die Abflüsse im Bad mit ihren Stöpseln zu versehen, weil es nämlich doch arg anfängt zu riechen.
Aus dem Leben eines Teilzeitautofahrers
Wir parken auf dem Pordoijoch auf einem kostenpflichtigen Parkplatz, für 10 € von mittags bis abends. Beinahe hätte ich mich in eine enge Lücke neben einem VW Bus hineingekurbelt, als jemand aus einem Eckparkplatz losfährt, in den ich nur vorwärts reinfahren muss und auch ohne Probleme ausparken werden kann. Zu allem Überfluss ist dann auch noch der VW Bus weggefahren, als wir fertig geparkt hatten, sodass ich mich dann doppelt geärgert hätte, wenn ich den Eckparkplatz nicht genommen hätte. Worüber man sich als Autofahrer Gedanken macht.
Große Kraxe, kleine Kraxe
Wir packen die Kraxen. Auf der letzten Wanderung haben wir festgestellt, dass die eine Kraxe kleiner ist, als die andere. Unsere alte Kraxe, eine graue, haben wir auf unseren letzten Reisen tageweise tauschen können, dann hat der andere immer den Rucksack mit dem Proviant getragen. Jetzt mit zwei Kindern, haben wir uns noch eine gebrauchte Kraxe besorgt, eine rote. Die rote ist aber zu klein für mich, selbst auf größter Einstellung. Ich bin einen ganzen Tag damit gelaufen und hatte am Ende ordentlich verspannte Schultern, weil der Hüftgurt nicht richtig auf der Hüfte sitzen konnte und somit die Schultern nicht entlasten konnte. Also haben wir beschlossen, dass wir künftig die Kinder tauschen, aber nicht die Kraxen. In die Kraxe mit dem leichteren Kind kommt der Proviant und in die andere die Kleidung und Wickelsachen. Die Große möchte immer ihren Rucksack mitnehmen und wenn sie mal in der Kraxe sitzt, dann wird der kleine Kinderrucksack mit zwei Karabinern an der Kraxe befestigt, damit er nicht baumelt.
Ein hoch auf die Wanderstöcke
Lu hat die Idee, doch diesmal die Wanderstöcke mitzunehmen. Was soll ich sagen: Beste Entscheidung. Wir wollen den Bindelweg wandern. Zuweilen etwas steiler, aber insgesamt ein leichter Weg. Allerdings auf über 2000 m Höhe. Und mit den zusätzlichen rund 20 kg auf dem Rücken wäre schon die Treppe zur S-Bahn hoch anstrengend. Die Wanderstöcke erleichtern uns den Aufstieg erheblich und auch Abstiege sind wesentlich angenehmer. Unser Ziel auf dem Bindelweg ist das Rifugio Viel dal Pan. Bei unserem letzten Besuch sind wir bis zum Rifugio gewandert, dann bis zur Gondel am Endes des Weges, haben uns Kaffee und ein Stück Kuchen gegönnt und sind zurück gelaufen. Diesmal ist an einen längeren Weg gar nicht zu denken, weil wir dafür wohl früher losgemusst hätten. Damals haben wir im Viel dal Pan eine der besten Polentas auf unseren Wanderungen gegessen, diesmal ist die Küche schon kalt, als wir um 15:30 dort ankommen. Kurze Enttäuschung, aber dann hole ich uns ein Bier, ein Radler, einen Apfelsaft und ein Stück Waldfrucht Torte und wir genießen die Aussicht auf die Marmolata, den höchsten Berg der Dolomiten. Die Kleine geht viel stiften und konsultiert fremde Wanderer mit unverständlichem Baby-Sprech.
Noch sind wir entspannt
Beim Spielen rutscht die Große von der Bank ab, stößt sich den Hinterkopf am Tisch und weint bitterlich. Lu kümmert sich um die Große, während die Kleine aus Empathie mitweint und dann von mir getröstet wird. Es sind nicht viele Wanderer vor Ort, aber sicher 15 Leute sind mindestens akustisch betroffen. In solchen Momenten blendet man das aber am besten aus.
Die Kleine muss gewickelt werden und es gibt im WC Bereich nur eine Wickelauflage in einer sehr dunklen Ecke, ohne Fenster oder Beleuchtung. Immerhin kann an den Seiten nichts und niemand herunterfallen, aber das ist schon eine ungewöhnlich liebevoller Wickelbereich – nicht.
Doch schon herrscht dicke Luft
Wir treten den Rückweg an. Die Große ist müde und wir wollen, dass sie in der Kraxe sitzt. Sie möchte die Knöpfe an ihrer Stoffjacke selber einfädeln. In dem müden Zustand dauert das natürlich extra lange und ich mache ihr zwei von drei verbleibenden Köpfen zu. Sie ist enttäuscht und wütend und nachdem wir im Rifugio viel Einfühlsamkeit in mehreren Situationen brauchten, sind wir mittlerweile erschöpft und schaffen es nicht, uns an unsere Standards zu halten. Wir sind ungehalten und als die Große sich in Gefahr bringt – der Weg ist an einem Abhang – hebt Lu sie in meine Kraxe, während diese am Boden steht. Die Große protestiert lautstark. Lu hatte mich zwischenzeitlich schon weggeschickt, weil ich die Geduld verloren hatte und die Situation mit meiner Laune nicht verbessere. Ich saß hinter der Hütte, etwas den Hang hinauf und weinte und fragte mich, warum wir uns das alles überhaupt antun. Ich komme wieder, weil ich die Eskalation mitbekomme und setze die Kraxe mit der Großen darin wortlos auf. Ich bin immer noch gestresst und wütend und wandere los.
Während ich ein ganzes Stück sehr zügig mitsamt Wanderstöcken laufe, baue ich meine Wut ab. Ich entschuldige mich bei der Großen und erkläre ihr, was gerade los war. Sie ist immer noch traurig, vielleicht sogar etwas verschreckt und sagt, dass ich zu schnell gelaufen sei. Ich entschuldige mich auch dafür. Mich ärgert es jedes Mal zusätzlich, wenn es so eskaliert und das ist ein Teufelsskreis. Lu hat mittlerweile aufholen können und wir laufen gemeinsam weiter.
Auf dem weiteren Weg wird die Große ruhiger und kommentiert nur noch wenig. Irgendwann ist sie dabei einzuschlafen und wir stellen die Gespräche vorerst ein, damit sie endlich in den Schlaf findet.
Überraschender Stellplatzfund
Kurz bevor wir am Auto sind, kommen wir an einem Parkplatz vorbei, auf dem sich Camper aufgebaut haben. Wir fragen direkt, ob man hier übernachten kann und ob es etwas kostet. Ja und nein. Perfekt! Dann müssen wir gar nicht mehr weit fahren! Der Platz ist nicht auf park4night vermerkt und deshalb hatten wir ihn nicht auf dem Schirm. Wir gehen zum Auto, die Große wird gerade wach und wir laden alles ein. Bis wir wirklich loskommen, vergeht eine gefühlte Ewigkeit. Wir fahren 100 m und sind schon am Stellplatz. Hier hätten wir uns womöglich die 10 € für den anderen Parkplatz sparen können. Wir platzieren uns und holen zum ersten Mal Tisch und Stühle raus. Zum Glück haben ich so dicht an einem Sandhaufen geparkt, dass wir die Türen am Heck nur schwer öffnen können. Entsprechend schwer bekomme ich Tisch und Stühle aus dem Heck. Aber wegen Unebenheiten und Pfützen, konnte ich kaum anders parken.
Abendessen mit Nostalgie
Wir beschließen, dass es heute Wraps gibt. Die Große hat auf unserer ersten Elternzeitreise Wraps kennengelernt, allerdings haben wir sie damals Burritos gennant (die Große nannte sie Bito) und die Tortillas hießen Wraps. Ich dachte erst, dass wir das nie wieder gerade biegen können, aber mittlerweile hat sich Wraps für gefüllte Tortillas eingeschliffen und die Fladen an sich spielen aktuell keine Rolle. Damals gab es sie immer mal so zum schnacken. Da hat die Große sich dann auch irgendwann auf der einmonatigen Fahrradtour selber aus einer Tüte bedient und sich etwas vom „wep“ abgerissen. An diesem Abend kommen die Wraps anfangs eher mittelmau an. Die Kleine mag nur die Tomatenstücken und den Mozzarella daraus essen, die Große ist eigentlich zu müde zum Essen und ist überfordert von den emotionalen Ausbrüchen ihrer kleinen Schwester. Es scheint, als sei ihr der Appetit vergangen. Ich biete ihr an, sie zu füttern. Sie ist zwar bald Dreieinhalb, aber wir wissen, dass füttern eine Ausnahme ist, weil sie sonst alles „alleine“ machen möchte und im Sinne der Bedürfnisorientierung befriedigt das Füttern hier vielleicht Bindung und Geborgenheit.
Bergauf und -ab der Emotionen
Die Abendroutine verläuft mal wieder eher gemischt. Und das heißt immer, dass es einem von uns zu viel wird, nicht dass die Kinder „nicht funktionieren“. Jedenfalls muss ich Luft schnappen, mal wieder. Ich sammle mich etwas abseits des Campers und komme kurze Zeit später zurück, um Kamera und Handy zu holen, um ein paar Bilder vom Sonnenuntergang zu machen. In solchen Momenten verarbeite ich natürlich meine Gefühle nicht weiter, aber manchmal möchte ich einfach nur raus aus meiner Gefühlswelt. Es ist auch nicht gesund zu lange in seinen negativen Gedankenspiralen zu verweilen. Lieber möchte ich etwas Abstand gewinnen und mit einem entspannteren Gemüt die Situation reflektieren. Andererseits ist es auch wichtig die Emotionen zu fühlen und einzuordnen, damit man weiterkommt. Immer nur undefinierte Wut hilft nicht weiter. Aber dazu werde ich mir irgendwann mal Zeit nehmen und ein extra Kapitel schreiben, weil es mich schon sehr beschäftigt.
Lu macht letztlich beide Kinder bettfertig. Als ich wieder da bin, begleitet jeder ein Kind in den Schlaf und anschließend Texten wir noch etwas und gehen, wie immer, viel zu spät schlafen.


















