Tag 9 – Im Museum ohne Dach

Nachdem wir gestern alleine hier am Sellajoch angelandet sind und außer ein paar Autos die kurz gehalten haben, keiner geblieben ist, ist der Parkplatz heute voll, als wir aufwachen. Ich sage immer, lass uns nicht mit den anderen messen. Frühe Vögel, die schon zur Wanderung aufbrechen, mit oder meist ohne Kinder, während man selbst noch die Zahnbürste im Hals hat.

Der frühe Vogel dreht sich nochmal um

Klar ist es praktisch früh aufzustehen, weil es früher am Tag noch kühler ist, die Sonne brennt noch nicht so sehr und weiter entfernte Ziele sind vielleicht noch erreichbar. Es ist auch noch mehr Zeit da um sich Zeit auf der Wanderung zu lassen. Aber lange schlafen und mit den Kindern kuscheln ist auch sehr schön. Und es ist ja kein Wettkampf.

Die Erwartungshaltung macht den Unterschied

Es geht nicht darum seine Ziele möglichst tief zu stecken, aber wenn wir eins in unseren Therapiestunden gelernt haben, dann, dass unser überhöhter Anspruch, uns in vielen Lebenslagen das Leben schwer macht. Wir haben kurz vor der Reise unsere Erwartungshaltung korrigiert und uns von einer durchgetakteten Reise verabschiedet. Es ist als Paar sehr entspannt zu wissen, was, wann und wo passieren soll. Aber mit Kindern kann es Fluch und Segen sein. Die Enttäuschung, dass irgendetwas ausfallen muss, bzw. der Stress den Zeitplan einzuhalten, gegenüber dem Vorteil zu wissen, was heute ansteht und nicht noch Reisezeit zur Planung verwendet werden muss, ist schwer gegeneinander aufzurechnen. Aber bis jetzt gefällt mir die Art zu reisen.

Stress findet dich überall

Ich finde es an vielen Alltagspunkten schon stressig genug und eine durchgetaktete Reise würde zusätzlichen Druck erzeugen. Dann gäbe es womöglich Diskrepanzen, was ausfallen darf und was nicht. Termindruck zu Hause plus Alltag ist Stress und da der Alltag ja mit auf Reisen kommt, fahren wir den Termindruck etwas zurück.

Nur nach Hause

Ich habe regelmäßig den Gedanken „ich hab keinen Bock mehr, wir fahren nach Hause“. Aber viel häufiger ist es schön unterwegs zu sein und eine intensive und prägende Zeit mit seiner Familie zu verbringen.
Verrückt ist auf jeden Fall, dass wir zu Hause früher aufstehen. Aber hier erleben die Kinder viel mehr und kommen auch durchaus später ins Bett, weil wir mehr mit dem Flow gehen und situativer entscheiden. Dadurch brauchen sie zum einen mehr Schlaf, um den Tag zu verarbeiten, aber sie stehen eben auch später auf, wenn sie später in der Koje liegen. Und unser Schlafbedarf entspricht dem gewöhnlicher Eltern von zwei kleinen Kindern. Plus die Erschöpfung vom Wandern, die auch Bettzeit fordert. Wir schlafen also immer locker, bis die Kinder uns wecken.
Wenn man es so möchte, haben wir uns zwei sehr pflegeintensive Wecker zugelegt.

Auf zur Steinernen Stadt

Wir machen uns also gefühlt nach allen andern auf den Weg zu unserer Wanderung. Wir stehen am Sellajoch und wollen zur Steinernen Stadt am Langkofel. Das ist ein gutes Stück zu laufen. Vor ein paar Jahren haben wir dort auf einem Parkplatz am Straßenrand gehalten und ein Auto neben uns hatte sich im lehmigen Schlamm festgefahren. Wir halfen beim befreien, indem wir mit anschoben. Allerdings wurde unser Mietcamper damals ordentlich eingesaut und den Dreck haben wir ewig mit uns herumgefahren, weil sich Lehm offenbar nicht so leicht durch Regen und ein bisschen Handwäsche löst. Dieses Mal stehen wir aber in sicherer Entfernung. Müssen dafür aber lange laufen. Die Große läuft anfangs selber und so dauert es eine Stunde, bis wir am eigentlichen Start sind. Aber alle haben Spaß im Schlam – irgendwie ist es da immer matschig.

Warum eigentlich Museum ohne Dach?

Wir waren gestern in einem Museum in Bozen und der Großen hat es offenbar so gut gefallen, dass sie direkt wieder ins Museum möchte. Wir sagen ihr, dass wir heute eine Wanderung machen und sie ist enttäuscht und besteht auf Museum. Da habe ich eine Idee und sage ihr, dass das dort, wo wir die Wanderung machen, so etwas wie ein Museum ohne Dach ist. Die Felsen, die Steinerne Stadt genannt werden, verkaufe ich als Museums Teil. Das sagt ihr erstmal zu. Aber unterwegs fragt sie immer wieder, wo denn das Museum ist. Zu unserem Glück kommen Tafeln, auf denen man sehen kann, welche Berge sich um uns herum befinden und welche tierischen Bewohner hier leben. Solche Tafeln kennt sie aus dem Museum. Auf einer Tafel war die Rede vom Schneehasen. Mit ihm konnten wir auch später noch die Stimmung immer wieder aufheitern, weil wir dann gefragt haben, ob hier wohl ein Hasenbau sein könnte. Oder hier. Das fand sie gut und hat die Wanderung für sie kurzweiliger gemacht.

Trotzdem sagte sie zwischendurch, dass sie lieber wieder in ein Museum mit Dach möchte. Wahrscheinlich, weil sie da mehr Bewegungsfreiheit hatte. Auf der Wanderung wollte sie irgendwann nicht mehr laufen und saß dann in der Kraxe. Und wenn sie besonders müde ist, dann entscheiden wir auch, dass sie jetzt besser darin sitzen bleibt, weil keiner glücklich werden würde, wenn sie indem Moment zu Fuß unterwegs wäre, auch wenn sie es einfordert.

Hohe Preise auf hohen Höhen

Auf 2154 m Höhe kehren wir zum Mittagsmahl ein ins Rifugio Emilio Comici. Es nennt sich auch Luxury Hub und ist überall mit dem Stern von Mercedes Benz gebranded. Wir hätten beinahe kehrt gemacht, sind aber aus unerfindlichen Gründen trotzdem eingekehrt. Der Service ist sehr eifrig und unaufdringlich eng am Gast und wir sind erschöpft und verschwitzt. Während Lu mit einem der Kinder zum Wickeln geht, gebe ich schon mal die Bestellung auf. Die Küche ist eher gehoben, was sich auf über 2000 hm eigentlich von selbst versteht, aber die aufwändige Speisekarte, die Auswahl der Gerichte und nicht zuletzt die Preise, machen dieses Mittag zu einer der teureren Einkehren auf unserer Reise – bis jetzt. Kräuterrisotto mit drei Streifen vom Rinderfilet, Truthahnschnitzel mit Pommes, ein großes Radler und ein Apfelsaft für 66 €. Allein das 0,5 L Radler hat 7 € gekostet.

Abwärts

Alle sind zufrieden und gesättigt und nachdem die Kinder noch auf dem Gelände etwas herumgetobt haben, auf den riesigen Stuhl geklettert sind, die Liegestühle ausprobiert wurden, eine der rotierenden Sitzgruppen als Karussell genutzt wurde, der große Stoff-Eisbäre geknuddelt und gestubst wurde, ziehen wir wieder los und machen uns auf den Weg zurück zum Camper. Beim Abstieg werden Kühe gezählt und der Hasenbau gesucht.

Unerwarteter Spielplatzfund

An der Talstation des Sasso Lungo, die auf dem Weg liegt, finden wir plötzlich einen Spielplatz. Es ist spät und die Kinder sind müde. Aber die Kleine hatte nur oben bei der Hütte Bewegungszeit und die Große saß viel in der Kraxe, weil sie nicht laufen wollte. Also entschließen wir spontan, dass noch Zeit für den Spielplatz ist. Beide starten direkt durch, wie wenn man Mentos in Cola Light wirft. Es wird geklettert, gerutscht und erkundet. Das haben sie ganz offensichtlich gebraucht. Das Ende einzuleiten ist allerdings schwierig bei dem Müdigkeitsgrad. Es kann nur scheitern. Wir sind erschöpft von der Wanderung und könnten mehr Feingefühl zeigen. Wir bekommen es mittelmäßig hin, die aufgebrachten Kinder in die Kraxen zu setzen und wandern mit lautem Getöse los. Die letzten Meter sind nochmal extra matschig. So bekommen die Stiefel nochmal eine Packung.

Bitte nicht füttern

Als wir wieder beim Camper ankommen, sitzt eine illustre Runde an zwei Campingtischen auf dem kleinen Parklplatz am Sellajoch und isst gerade Abendessen. Offenbar gibt es Spaghetti, denn irgendwann füttern die Kinder der Gruppe die Vögel mit den Nudeln. Uns juckt es in de Fingern etwas zu sagen und ich bin sofort dabei. Lu bremst mich noch kurz bevor ich die Tür öffne, und sagt, dass ich freundlich sein soll. Gesagt, getan. Ich bin der Sonnenschein am Abend, der dir sagt, dass deine Kinder kein Essen in die Walachei werfen sollen. „Sorry? Would you please not feed the aminals?“ sage ich zu einem Mann aus der Gruppe. Er nimmt es freundlich an und beendet die Fütterung.

Abendessen der Kinder

Die Große hat unterwegs schon Pläne geschmiedet, was sie gerne essen möchte: Ein Brot mit Butter, Leberwurst, Mortadella und Mozzarella. Haben wir alles da, bekommt sie. Ihr schmeckt’s und wir essen die Reste. Und es schmeckt tatsächlich ganz gut.

Abendessen der Eltern

Wir haben noch Zutaten für Caprese mit Burrata und während einer duscht, bereitet der andere das Essen zu. Ein perfekter Abschluss für den Tag.


Hinterlasse einen Kommentar